Sommerzeit 2016 - Erzbistum Köln - page 32

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Wie beurteilen Sie denn die immer stärker aufkommende Aus-
länderfeindlichkeit?
Ich glaube, das Wichtigste im Moment ist, dass man miteinander redet.
Es macht keinen Sinn, beispielsweise die AfD-Wähler außen vor zu las-
sen. Man muss mit denen ins Gespräch kommen, weil die eben alle zur
Wahl gehen. Die wählen das Falsche, klar, die wählen diejenigen mit den
vermeintlich einfachsten Lösungen. Man muss mit denen reden und sie
überzeugen. Ich glaube, dass das bei vielen AfD-Wählern noch Sinn
macht. Da dürfen wir uns nicht zu fein für sein, sondern müssen das
einfach tun.
Sie engagieren sich seit mehr als zehn Jahren für Afrika, waren
erst in Uganda und helfen jetzt mit ihrem „Rebound“-Projekt
(s. Kasten) Kindern, vor allem Mädchen, im Ostkongo. Wie ist
die Situation dort zurzeit?
Das ist natürlich überhaupt kein Vergleich zu der Situation hier. Über-
haupt keiner. Es ist einfach so unfassbar, so furchtbar, so bodenlos, was
vor allem mit den Frauen und Kindern passiert. Diese unschuldigen Men-
schen, die mit dem ganzen Scheiß dort wirklich gar nichts zu tun haben,
die berühren und beschäftigen mich schon sehr. Im Moment gucken mich
die Leute allerdings oft schon komisch an, wenn ich ihnen von
Das Projekt „Rebound“
Das Projekt hilft Kindern und Jugendlichen imOstkongo, die
durch kriegerischeAuseinandersetzungen verletzt und trau-
matisiert wurden. Mit einer Mischung aus Berufsbildung,
„Life-Skills-Training“ (Hygiene, Gesundheit und Grundbil-
dung) und psychosozialer Unterstützung zur Verarbeitung
der Kriegserlebnisse soll ihnen derWeg in eine eigenverant-
wortliche Existenz und eine Zukunft mit Perspektive ermög-
licht werden. Zusammen mit World Vision haben Wolfgang
Niedecken und der Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin das
Projekt „Rebound“ ins Leben gerufen. Nachdem Rebound
2007 in Norduganda gestartet ist, engagiert sich Wolfgang
Niedecken seit 2011 im Ostkongo, einem der gefährlichsten
Länder der Welt. In Butembo im Nordosten des Landes ist
mittlerweile die zweite Rebound-Einrichtung für vom Krieg
betroffene Jugendliche entstanden. Insgesamt nehmen 70
Jugendliche an diesem Projekt teil. Es handelt sich um ehe-
malige Kindersoldaten, minderjährige Zwangsprostituierte
und Straßenkinder. Die Kinder können sich einen der ange-
botenenAusbildungszweige aussuchen und z.B. Näherinnen,
Köche, Automechaniker, Tischler, Schreiner und Schuhma-
cher werden. Neben denAusbildungszweigen werdenAlpha-
betisierungskurse angeboten und psychologische Betreuung
gewährleistet. Die meisten Kinder sind in Gastfamilien
untergebracht, um dort eine intakte Familie zu erfahren.
(Quelle: worldvision.de)
Der Troubadour und sein Schutzengel.
Seit 22 Jahren sind
Tina
und
Wolfgang Niedecken
verheiratet.
Staunende Blicke im „Hohen Dach“ des
Doms. Wolfgang Niedecken ist auch
bei seinem dritten Besuch begeistert
vom Dachstuhl des Langhauses.
„Rebound“ erzähle, und denken: Was hat der denn jetzt wieder. Wir
haben doch hier in Deutschland genug Probleme. Das kenne ich zwar
schon, aber jetzt gibt es diese Reaktion schon in verstärktem Maße.
Was empfinden Sie, wenn Sie im Ostkongo die Kinder und die
oft jahrelang misshandelten Mädchen sehen?
Zunächst bin ich da immer sehr demütig. Wenn man vor Ort ist und das
sinnlich wahrnimmt, wie es da riecht, wie stickig die Luft ist, was man
hört, wie nah der Horror ist, wenn ich junge Mädchen treffe, die verge-
waltigt wurden im Alter meiner eigenen, damals knapp zehnjährigen
Töchter. Und wenn ich das dann vergleiche, denke ich oft: Gott sei Dank
sind meine Töchter zu Hause in Sicherheit und behütet. Und dann sehe
ich so ein Mädchen in unserem Rebound-Haus und weiß, ich fahr´ irgend-
wann ja wieder weg, das ist ganz bitter. Aber ich weiß gleichzeitig auch,
warum unsere Hilfe dort nach wie vor so wahnsinnig wichtig ist.
„Unsere Arbeit” Friedensförderung auf
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