Mensch - Magazin des Erzbistums Köln - page 7

gubbio
Gubbio ist das Zentrum der katholischen Obdachlosen-
seelsorge im Erzbistum Köln. Schwester Franziska
und Bruder Markus machen aufsuchende Sozialarbeit
auf der Straße, engagieren sich bei der Suppenküche
am Appellhofplatz, kümmern sich in Gesprächen oder
mit Begleitung um Einzelne und bieten mit ihrem Team
verschiedene Angebote an. Dazu zählen ein Gesprächs-
kreis, ein Filmnachmittag, wechselnde kreative
Programme und Bibelteilen sowie eine Messfeier.
04 – 2015
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Erzbistum
Köln –
Speisen
für diese eine Stunde
Am Appellhofplatz bekommenWohnungs­
lose jeden Abend eine warme Mahlzeit.
Text:
Hildegard Mathies
Foto:
Natalie Bothur
Wenn es bald Nacht wird in Köln, treffen sie sich am Appell-
hofplatz: Straßenkinder und erwachsene Wohnungslose,
Menschenmit Grundsicherung undMenschen, bei denen die
Rente nicht reicht. Dazu seit einiger Zeit ein paar Rumänen
und Bulgaren. An jedem Abend in der Woche bekommen sie
hier ein warmes Essen, heißen Tee – und vor allem mensch-
licheWärme.Wenigstens für eine Stunde.
Lidia sitzt ganz allein in einer Ecke. Stehen kann sie nicht
mehr so gut mit ihren 81 Jahren. Erst hockt sie sich an die
Hauswand des Justizgebäudes, später auf das Trittbrett des
Ambulanzwagens, der an diesem Abend bereitsteht, um
kleinere oder größere Blessuren zu untersuchen oder Rat zu
geben. Seit 42 Jahren lebt Lidia jetzt hier und sie lebt gern
hier – doch ihr Herz ist noch immer in Kolumbien. „Es ist
schwer“, seufzt sie. Eine Wohnung hat Lidia zwar, aber nicht
genug Geld zum Leben. „Manchmal denke ich, ich springe…“,
sagt sie, ohne den Satz zu beenden.„Aber das darf man nicht.
Jeder Tag ist von Gott geschenkt.“ Und dann sagt sie:„Ich will
nicht klagen. Hier bekommen wir ja Hilfe. Und es gibt heißen
Tee, wirklich guten Tee.“
Lidia ist,wie so viele, Stammgast bei der Suppen-
küche, die auf eine Initiative des überkonfessionellen Vereins
Emmaus Gemeinschaft Köln zurückgeht und von mehreren
Gruppen meist ehrenamtlich Aktiver betreut wird. An jedem
Abend der Woche ist eine andere Gruppe dafür verantwort-
lich, dass in der Küche von Emmaus ein nahrhaftes Essen ge-
kocht wird und große Mengen Tee. Mit dem Bulli wird alles
zum Appellhofplatz gebracht, wo das Team meistens schon
von einer großen Gruppe Menschen sehnlich erwartet wird.
Um neun Uhr beginnt dann die Essensausteilung. Es gibt
eine Schale Suppe oder Eintopf, ein bisschen Brot, heißen Tee.
Wenn man Glück hat und es mal nicht so voll ist, bekommt
man einen Nachschlag. „Soviel man will“, erzählt einer, „jeden-
falls solange ’was da ist.“ Aber jetzt, imWinter, ist es immer
voll und die wuchtigen Töpfe sind schnell leer.
„pass auf dich auf“
Montags kommen auch Bruder Markus und Schwester Fran-
ziska zur Suppenküche. Die beiden Ordensleute arbeiten
im Gubbio, dem Zentrum der katholischen Obdachlosen-
seelsorge, und betreiben aufsuchende Seelsorge, etwa in
den Fußgängerzonen oder rund um Dom und Hauptbahn-
hof. Bruder Markus ist auch Donnerstags am Appellhofplatz,
Schwester Franziska Freitags. Man kennt sich, meistens jeden-
falls. Entweder sprechen die Menschen Bruder Markus an oder
er fragt nach.Wie es geht. Ob einer etwas braucht. Kleidung,
Hilfe beim Umgang mit Ämtern, einen Rat, …
Lothar ist ein alter Bekannter. Er ist fast jeden
Tag imGubbio und oft hier an der Suppenküche. Dazu noch im
Lobbyrestaurant LoRe in der Domstraße, wo er sich auch seine
Post hinschicken lassen kann. Lothar hat noch Familie, aber
seine Mutter, hört man heraus, „kann sich nicht kümmern“.
Wie genau Lothar auf der Straße gelandet ist, warum – für
solche Fragen ist heute keine Zeit. Der junge Mann ist zu auf-
geregt – er hatte Ärger mit einigen Leuten „Dreimal haben
die mich heute überfallen“, ruft er, „dreimal! Mir reicht es!“
Bruder Markus versucht mit seiner herzlich-humorvollen Art,
Lothar zu beruhigen. Am Ende verabschiedet sich der junge
Mann sichtlich ruhiger und seinerseits sehr herzlich mit
einem„Pass auf dich auf!“.
Seit 15 Jahren lebt Lothar auf der Straße. „Ich
habe immer überlebt! Ganz allein,auch imWinter“,sagt er stolz.
Der junge Mann hat schon viel mitgemacht, unter anderem
hat er einen Straßenbahnunfall überlebt. Seitdem steckt sein
Körper voller Metallplatten, die seine Knochen zusammen-
halten. Unterkriegen lässt sich Lothar aber nicht. „Ich arbeite
beimDraussenseiter“,erzählt er,demKölner Straßenmagazin
und Deutschlands ältester Zeitung ihrer Art.
„man soll sich nicht abhalten lassen“
„Wir erleben vieleHoffnungsgeschichten“,sagt BruderMarkus,
„aber auch eine Menge trauriger Kreuzesgeschichten.“ Ge-
schichten von Menschen, die es nicht schaffen, ihre Situation
zu verbessern oder klarzukommen. Oder Geschichten von
Menschen, die es nicht schaffen zu überleben. Bruder Markus
imponieren viele der Menschen, die er auf der Straße oder
im Gubbio trifft und die es schaffen. „Ich staune oft, wie viel
Kraft sie haben, ihren Alltag zu bewältigen.“
So wie eine Besucherin, die lieber anonym blei-
ben will. Sie kommt immer mit ihrem Hund zur Suppenküche.
Wohnungslos ist auch sie nicht, aber auch hier reicht das Geld
nicht mehr zum Leben.„Ich hatte… ein paar Schwierigkeiten“,
sagt sie zögernd. Mit der Miete und so…, „aber jetzt regle ich
das wieder“, hofft sie. Dass sie jeden Abend zur Suppenküche
kommen kann, hilft ihr dabei.
Sie macht sich viele Gedanken, buchstäblich
über Gott und dieWelt.„Der Glaube ist mir wichtig“, sagt sie.
Und auch, dass man jeden Menschen erst einmal kennen-
lernt – und auch sich selbst. „Aber die wenigsten trauen sich,
nach innen zu schauen“, sagt sie. Auch wenn ihr das Leben
sichtbar zugesetzt hat – unterkriegen lassen will auch sie sich
nicht. „Man soll sich nicht von äußeren Dingen von irgend-
etwas abhalten lassen“, sagt sie, bevor sie sichmit ihremHund
auf den Heimweg macht.
„ich staune oft,
wieviel Kraft
die Menschen
haben.“
Können sich Großkonzerne
Barmherzigkeit leisten?
„Große Unternehmen sollten
sich Barmherzigkeit leisten,
da sie die Grundlage sozialer
Gerechtigkeit ist. Unternehmen
können barmherzig sein, indem
sie soziale Projekte unterstützen
und ihre Belegschaft für soziales
Engagement bezahlt freistellen.
Wir ermutigen unsere Mitarbei­
ter jedes Jahr, im September an
der Global CaringWeek teilzu­
nehmen. In diesem Jahr haben
zehn Mitarbeiter etwa beim Bau
einesWichtelhäuschens in der
Caritas-Kindertagesstätte
in Bensberg geholfen.“
Bernhard Mattes, 59
Ford-Chef
Nachgefragt
Überlebenskünstler: Lothar ist
stolz darauf, dass er es schafft,
auf der Straße zu überleben –
und engagiert sich.
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