Mensch - Magazin des Erzbistums Köln - page 3

04 – 2015
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Erzbistum
Köln –
Beherbergen
Sie hatten einen Platz in der Herberge, Abdullah Zubi, 26,
und seine Frau Qamar Kanafani, 17. Doch die „Herberge“ war
nur ein Container für syrische Flüchtlinge, in dem sie mit der
ganzen Familie und vielen anderen leben mussten. Antonius
Quodt hat das junge Paar, das bald sein erstes Kind erwartet,
aufgenommen.
Es ist ein normales Geschäftsviertel in Köln-Longerich. Hier
erwartet man seriöse Firmen, kreative Unternehmen und
gestandene Geschäftsleute. Antonius Quodt hat vor einiger
Zeit nicht nur sein Unternehmen LightLife hierher verlagert,
er lebt auch in dem zweistöckigen gelben Haus mit Show-
room, Werkstatt, Büros und Apartments. Als die Stadt be-
schloss, in der Nachbarschaft Flüchtlinge in Containern unter-
zubringen, reagierten Quodts Nachbarn sofort: Sie zogen
Stacheldraht um ihre Firmen. Quodt war erst erschrocken
und dann verärgert. Zugleich ist er sehr nachdenklich ge-
worden. Seine Konsequenz: Handeln. „Ich habe beschlossen,
Flüchtlinge aufzunehmen“, erzählt der Unternehmer. „Auch,
um ein Zeichen zu setzen.“ Gedacht, getan. Nachdem der
erste Versuch über die Caritas nicht klappte, weil sie keinen
Flüchtling aus Syrien vermitteln konnte, ging dann alles ganz
schnell. Quodt nahm Kontakt zur Kölner Syrienhilfe auf und
schon ein paar Stunden später standen Abdullah und Qamar
vor seiner Tür.
Seit etwas mehr als einemVierteljahr bewohnt
das junge Ehepaar nun eine der beiden Praktikanten-Woh-
nungen. Sie besteht aus einem geräumigen Wohn-Schlaf-
zimmer, einer kleinen Küche und einem kleinen Bad. Viel
Persönliches gibt es nicht in dem großen Zimmer. Woher
auch? Für die Flucht aus der stark zerstörten und bis heute
umkämpften Stadt Homs hat Abdullahs Familie alles verkauft
und nur das Nötigste mitgenommen.
Zu fuSS durch sechs länder
Erst machte sich Abdullah auf den Weg nach Deutschland.
Zu Fuß. Durch Syrien, die Türkei, Griechenland, Mazedonien,
Serbien und Österreich schaffte er es innerhalb von drei Monat-
en. Warum wollte er gerade nach Deutschland? „Mein Vater
ist als Autohändler in 25 Jahren oft hierher gereist“, erzählt er,
„er sagt: ,Deutschland ist das Herz von Europa.‘ “ Im Rahmen
der Familienzusammenführung durfte dann die Familie nach-
kommen. Nur die Großeltern blieben in Syrien – sie sind zu alt
für die Flucht. Über WhatsApp hält Abdullah aber Kontakt mit
dem 90-jährigen Großvater.
Eigentlich ging es den Zubis gut in Homs.
Schon der Großvater hatte eine Autowerkstatt, der Vater hat
sie übernommen und auch Abdullah hat als Automechaniker
gearbeitet. In den Beruf ist der 26-Jährige von Kind an hinein-
gewachsen. Nach der Militärzeit hat er zwei Jahre in Algerien
gearbeitet und dort gut verdient. Doch dann kam der Krieg und
die Lage zu Hausewurde immer dramatischer. Nicht Präsident
Baschar al Assad und seine Diktatur seien das Problem, berichtet
Abdullah.„Damit kannman umgehen.Wenn diemich gefangen-
nehmen, komme ich nach ein, zwei Jahren zurück nach Hause.“
Doch seit die Terroristen von ISIS beziehungsweise dem IS in
die Geschicke des Landes eingreifen, ist nichts mehr berechen-
bar. „Sie sagen, wir sind keine Moslems“, sagt Abdullah, „weil
ich nicht in einem langen Gewand herumlaufe wie vor 3000
Jahren. Aber wir leben heute!“ Doch wer in den Augen des IS
kein guter Moslem ist, muss mit demTod rechnen, überall und
jederzeit.
Hinzu kam, dass die Lage inHoms immer drama-
tischer wurde.„Es gab kein Geldmehr, keine Arbeit, keineMedi-
kamente“, erzählt Abdullah. Umso glücklicher ist er, dass er und
seine Familie nun in Sicherheit sind und dass sein erstes Kind
hier geboren werden wird. „Es wird ein Mädchen“, verraten
Abdullah und die zurückhaltende, bald 18-jährige Qamar. Und
Abdullah ist schon ganz der stolze Vater, der davon träumt, dass
sein Mädchen einmal einen Universitätsabschluss hier macht.
freundschaftliches miteinander
Schnell holt Qamar einen kleinen Klapptisch aus der Küche,
kocht süßen schwarzen Tee für die Gäste und tischt eine
reiche Auswahl an Obst auf. Gastfreundlich sein und tei-
len, was man hat – das ist ganz selbstverständlich für die
jungen Syrer. Antonius Quodt kann ein paar Lieder davon
singen: „Als im Sommer mit der ganzen Familie draußen
gegrillt wurde, war das jedesmal ein Fest. Daran kam ich gar
nicht vorbei“, erzählt er lachend.
Es sind nicht die einzigen kulturellen Unter-
schiede, auf die man sich gegenseitig einstellen musste:
„Anfangs hat Qamar gar nicht die Tür aufgemacht, wenn
sie alleine zu Hause war“, erinnert sich der 48-Jährige. Das
Verhältnis zueinander sei mittlerweile freundschaftlich, erzählt
Quodt. Solange Abdullah noch keine Arbeit hat, arbeitet
er gelegentlich bei dem auf audio-visuelle Lichtkunst
spezialisierten Unternehmen mit. Eine Bewerbung bei der
Deutz AG läuft noch und Abdullah hofft, dass es klappt. Jeden
Tag geht er in die Schule und büffelt zu Hause Deutsch,
unter anderem mit Hilfe des Internets. An der Wand hängt
eine Konjugationstabelle. Abdullah hat sich schon einen
großen Wortschatz angeeignet und hilft mittlerweile auch
anderen Flüchtlingen, etwa bei Arztterminen. Nur für die
Schriftstücke vom Amt braucht er selbst Hilfe – „ich aber
auch oft“, meint Antonius Quodt. Dann müssen die Fachleute
von der Syrienhilfe nochmal ran.
Bevor Antonius Quodt das Ehepaar aufnahm,
besprach er die Idee mit seinen Mitarbeitern. Dass er helfen
wollte, stand für ihn aber außer Frage: „Sehen Sie sich die
beiden doch an! Da muss man doch helfen!“ Er hofft, dass die
beiden, „bald drei, sich hier eine neue, sichere Zukunft aufbau-
en können – aber mit ihrer schnellen sprachlichen Entwicklung
machen wir uns da gar keine Sorgen“.
Sarah Connor gehört zu
den erfolgreichsten deut-
schen Sängerinnen. Mit
ihrer Familie hat sie eine
syrische Mutter mit fünf
Kindern bei sich zu Hau-
se aufgenommen. Sarah
Connor schirmt ihr Fami-
lienleben und erst recht
das der Flüchtlinge gut
ab – doch in derWochen-
zeitung „Die ZEIT“ hat
sie über ihre Motivation,
ErfahrungenundGefühle
geschrieben. Connor en-
gagiert sich bereits seit mehreren Jahren für Flüchtlinge. Doch
sie wollte mehr tun. Als es konkret wird, gibt es durchaus
Sorgen und Fragen: Wie wird man sich verständigen? Was ist
mit dem Trauma, das die Flüchtlinge erlitten haben? Wie wird
die eigene Familie reagieren?
Seit mehrerenMonaten leben die beiden Familien
nun in einem Haus, die Flüchtlinge in einer Einliegerwohnung.
Die anfangs schüchterne syrische Mutter ist längst aufgetaut.
„Sie ist eine tapfere, bescheidene und wahnsinnig großzügige
Person“, so Connor. Für die beiden kleinen Mädchen ist sie die
„abla“, die große Schwester.
Connor in der ZEIT: „Ich maße mir nicht an, ein
Vorbild zu sein. Ich kann verstehen, dass nicht jeder Flüchtlinge
bei sich aufnehmen kann oder will. Aber was sich jeder erlauben
kann, ist, ein bisschenWärme,Nähe,Trost und Liebe zu spenden,
ohne sich fürchten zu müssen.“
Mit offenem Herzen
In Polen gibt es ein reiches und wundervolles Brauchtum rund
um das Christfest. Ein besonders schöner Brauch ist es, am Hei-
ligen Abend einen zusätzlichen Teller aufzustellen für einen
unbekannten Gast, so wie es unsere Titel-Illustration zeigt. Das
kann jemand sein, der kein Zuhause hat und am Haus vorbei-
kommt, oder jemand, der es nicht bis nach Hause schafft. In
manchen Familien lädt man auch alleinstehende und einsame
Menschen aus der Nachbarschaft ein.Wird ganz traditionell ge-
feiert, werden zwölf fleischlose Gerichte aufgetischt, eines für
jeden Apostel. Die Gerichte sollten mit Zutaten zubereitet sein,
die vom Feld, aus dem Garten oder Wald oder aus demWasser
stammen. Denn sonst würde der Bereich, der nicht beachtet
wird, im neuen Jahr keinen guten Ertrag bringen. Außerdem
werden am Tisch traditionell Oblaten gebrochen, beginnend
beim Familienoberhaupt. Dabei bricht jeder ein Stück von der
Oblate eines anderen ab und wünscht ihm alles Gute.
Das Cover: Der
unbekannte Gast
„Deutschland ist das
Was ist Barmherzigkeit?
„Barmherzigkeit ist der
Gegenpol zu den erschreckenden
Entwicklungen unserer Zeit:
ideologische Engstirnigkeit, die
Suche nach dem eigenen Vorteil,
Profitstreben, religiöser Fanatis­
mus mit menschenverachtenden
Auswirkungen. Barmherzigkeit
ist mehr als situationsbedingtes
Mitleid, es ist eine Haltung, die
Mitmenschlichkeit mit Großzü­
gigkeit verbindet, ohne Egoismus
und Vorteilsstreben. Barmherzig­
keit verzeiht Fehler und schafft
die Chance für einen neuen
Anfang.“
Oberbürgermeisterin
Henriette Reker, 59
Nachgefragt
Gute Nachbarn:
Antonius Quodt (l.) hat Qamar
Kanafani und Abdullah Zubi bei
sich zu Hause aufgenommen.
Herz von europa.“
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