Mensch - Magazin des Erzbistums Köln - page 6

04 – 2015
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eine sichere Nacht
text:
Hildegard Mathies
Fotos:
Natalie Bothur
Auf der Straße leben –
und überleben: das ist im
Winter am schwersten.
Mehrere Kirchengemeinden sowie die Initiative
BauenWohnenArbeiten bieten mit dem Nacht-
Café wenigstens einigen Wohnungslosen in Köln
täglich einen Schlafplatz.
Kurz herrscht Aufregung in den Räumen des Men-
torats für Studierende der Katholischen Theologie
an diesemDonnerstagabend. Dreizehn Menschen,
nein, vierzehn kommen um 22 Uhr durch die Tür –
dabei gibt es nur zwölf Schlafplätze. Und mehr
Menschen dürfen die hier ehrenamtlich tätigen
Erstsemester auch nicht aufnehmen, „auch wenn
es einem das Herz bricht“, wie Eva sagt. Doch das
Problem löst sich von selbst: zwei Wohnungslose
ziehen weiter. Die anderen Zwölf sind froh darüber.
Es sind fast immer die gleichen FrauenundMänner,
die sich hier zusammenfinden. Sie sind froh, wenn
sie in vertrauter Gemeinschaft schlafen können
und es keinen „Stress“ gibt.
Jetzt gibt es erst einmal heißen Tee
oder Kaffee und dazu ein paar Croissants. „Wir
passen aufeinander auf“, sagt Maria* und winkt
Martin herüber: „Komm schon, Martin, setz’ dich
erstmal und iss was!“ „Ja“, sagt Martin und sucht
sich seinen Platz an dem großen Tisch. „Ich red’
sonst immer zuviel“, schiebt er verschmitzt hin-
terher. Aber Maria achtet ja darauf, dass er auch
etwas isst und trinkt. Denn bis zur Nachtruhe ist
nur eine Stunde Zeit.
Sehnsucht nach den kindern
An jedem Abend in der Woche können die Woh-
nungslosen an einem anderen Ort in der Stadt die
Nacht verbringen. Donnerstags ist das Mentorat in
der Berrenrather Straße dran. Dann kümmert sich
ein fünfköpfiges Team um die Gäste. Wer keinen
eigenen Schlafsack hat, bekommt einen. Und wer
öfter kommt, kann hier ein paar Sachen deponieren.
Maria ist Stammgast im Nacht-Café. Dabei wünscht
sie sich nichts sehnlicher,alswiedermit ihren Kindern
zusammenleben zu können. Vier Kinder hat sie, der
Älteste ist 16 und schwerbehindert, er lebt seit
kurzem in einem Heim. Der Jüngste ist erst sechs
und versteht am allerwenigsten, warum er nicht
bei seiner Mama sein kann. „Er sagt immer schon,
ich soll nicht wieder gehen, bevor ich überhaupt
richtig da bin“, erzählt Maria. In ihren sanften
blauen Augen stehen gleichzeitig die ganze Liebe
und der abgrundtiefe Schmerz, die nur eine Mut-
ter so empfinden kann.
Im Augenblick hat Maria wenig Hoff-
nung, dass sich ihr sehnlichsterWunsch erfüllt.„Wir
suchen schon so lange eine Wohnung“, berichtet
sie. „Aber es klappt nicht.“ Hilfe vom Amt erhalte
sie nicht. „Da hieß es nur, ich soll wieder nach Hes-
sen gehen – oder auf der Straße bleiben.“ Zurück
nach Hessen oder zu ihrer Familie in Ostdeutsch-
land will Maria aber nicht. „Ich will die Kinder nicht
noch einmal aus allem herausreißen“, sagt sie. Die
Schule, die Freunde, die Stadt – noch einmal alles
aufgeben? „Das kann ich ihnen nicht antun.“
Maria lebt den Spagat zwischen einem
Leben auf der Straße und dem Versuch, weiterhin
eine gute Mutter zu sein. Sie nimmt alle Termine
mit den Kindern wahr, ob in der Schule oder beim
Arzt. Sie besucht ihre Kinder regelmäßig und unter-
nimmt etwas mit ihnen, soweit es ihre Rente und
ihre Gesundheit zulassen. Wegen ihres Asthmas
ist sie Frührentnerin, hinzu kommen andere Er-
krankungen. „Dieses Jahr hatte ich eine schwere
OP“, erzählt Maria. „Das hatte ich fünf Jahre mit
mir herumgeschleppt. Jetzt war es eine 50:50-
Sache, ob ich überlebe. Ich habe mich vorher von
allen verabschiedet und noch geweint, als sie
mich auf den OP-Tisch gelegt haben. Als ich nach
der OP wieder aufgewacht bin und das Licht gese-
hen habe, konnte ich es kaum glauben…“
ein hauch privatsphäre
Es ist kurz vor Elf. Die Nachtruhe fängt gleich an.
Maria nimmt ihre weiß-bunteWolldecke und zieht
sich in die hinterste Ecke des großen Zimmers zu-
rück. Mit ein paar Stühlen hat sie sich hier eine
kleine Nische abgeteilt, in der sie ihren Schlafsack
ausgebreitet hat. Ein Hauch Privatsphäre in dem
Gemeinschaftsschlafsaal. Schlafen wird Maria
ohnehin nicht oder nur unruhig. „Ich liege immer
wach und denke an meine Kinder“, sagt sie traurig.
„Ich frage mich immer, wie es ihnen geht.“
Boris raucht draußen schnell noch
eine Zigarette, bevor das Licht ausgeht. Auch der
junge Mann ist frühverrentet. „Ich bin eigentlich
Maurer“, erzählt er. „Aber das, was ich am besten
kann, kann ich nicht mehr machen.“ Epilepsie und
Rückenprobleme machen es ihm unmöglich. Seit
drei Jahren lebt Boris auf der Straße – und ist stolz
darauf, dass er es schafft, dort zu überleben. Und
nicht nur das: „Es ist mir wichtig, dass die Men-
schen nicht merken, dass ich obdachlos bin“, sagt
er. Lieber geht er morgens quer durch die Stadt,
um bei der Diakonie in der Johannisstraße erst
einmal zu duschen, „bevor ich in die KVB steige“.
Ehrenamtlich für flüchtlinge aktiv
Vor einiger Zeit hat Boris sich als ehrenamtlicher
Helfer für Flüchtlinge registrieren lassen. „Ich habe
ja Zeit“, sagt er. Bislang sei er erst zweimal einge-
setzt worden, am Flughafen, wo viele Flüchtlinge
mit dem Zug ankommen. „Das ist schon heftig,
wenn man das sieht“, sagt Boris, „da kommen
soviele Frauen mit Kindern! Und die haben alle
nichts.“ Es scheint, als habe er in diesem Moment
vergessen, dass er selbst auch nicht viel hat.
Eine neueWohnung, eine neue Stelle,
eine Perspektive – natürlich träumen manche davon.
Angelas Träume sind viel konkreter. Ob sie ein paar
Herzenswünsche nennen dürfe? „Ich möchte so
gerne nochmal Klavier spielen“, sagt die Frau in den
elegant aufeinander abgestimmten Stricksachen.
„Vielleicht gibt es ja jemanden, der mich einmal
eine Stunde spielen lassen würde?“ Auch arbeiten
würde sie gerne wieder mal, sagt die Industrie-
mechanikerin. „Vielleicht könnte ich ja mal auf
einer Baustelle mitarbeiten. Das wäre toll!“
Sind froh, dass sie imMentorat
Köln einmal in der Woche ein
Dach über dem Kopf haben:
Boris (l.) und Martin.
„niemand soll
merken, dass ich
obdachlos bin.“
Erzbistum
Köln –
Beherbergen
* Namen geändert
Angela wünscht sich, wieder einmal Klavier spielen
zu können oder auf einer Baustelle mitzuarbeiten.
Leben wir in einer
unbarmherzigenWelt?
„Es kommt darauf an, wo
auf dieserWelt man lebt.Wenn
einer im Ostkongo lebt, in Syrien
oder im Sudan, dann lebt er in
einer vergleichsweise unbarm­
herzigenWelt. Aber als ich im
Sommer aus der Türkei zurück­
kam und erlebt habe, was in
München am Bahnhof abging,
wie die Menschen Flüchtlinge
empfangen haben, hat mich das
ebenso überrascht wie erfreut.
Das hätte ich in Deutschland
nicht für möglich gehalten.
Erstaunlich viele Menschen
engagieren sich auch privat. Ich
hoffe, dass diese Hilfsbereitschaft
möglichst lange andauert und
dass wir schließlich nicht doch
noch verhärten.“
Wolfgang Niedecken, 64
BAP-Sänger
Nachgefragt
Barmherzigkeit –
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