EINFACH DA SEIN
TEXT:
HILDEGARD MATHIES
FOTOS:
ULLSTEIN BILD / GRABOWSKY
Freimuth Rosemeier* arbeitet seit
rund drei Jahrzehnten ehrenamtlich als
Hospizhelfer und Sterbebegleiter.
„Du brauchst keine Angst vor dem Tod zu haben. Wenn
überhaupt, dann vielleicht vor dem Sterben.“
Freimuth
Rosemeier, 59, befasst sich fast sein halbes Leben lang
mit demThema Tod und fand so auch zu seiner eigenen,
gelassenen Einstellung.Die Hospizarbeit inDeutschland
begleitet Rosemeier seit ihren Anfängen in den 1980er-
Jahren. Der Auslöser lag in der Familie: Als ein Onkel im
Krankenhaus starb, ging seine Frau vor der letzten Wa-
cheam Sterbebett – ein Neffe aber blieb. Er erzählte sei-
nem Cousin Freimuth von der bewegenden und für ihn
positiven Erfahrung. Als einige Jahre später jedoch sein
eigener Vater starb, ging der Cousin vor der letzten Wa-
che.„Ich habe das beideMale nicht verstanden“,erinnert
sich Rosemeier. Er suchte Antworten. Und so begann er,
sich intensiv mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen,
las viel von Elisabeth Kübler-Ross, der wohl bekanntes-
ten Sterbeforscherin, dazu buddhistische Texte.
„NIEMAND SOLLTE ALLEINE STERBEN MÜSSEN“
Vorblende:Mitte der 1980er-Jahre stößt Rosemeier dann
auf eine Zeitungsanzeige, in der ein Pfarrer aus Worrin-
gen Interessenten für ehrenamtliche Sterbebegleitung
und Hospizarbeit sucht. Rosemeier fühlt sich angespro-
chenund beginnt gemeinsammit einer Handvoll anderer
Teilnehmer einen Ausbildungskurs. Seit damals geht er
fast durchgehend mindestens einmal in der Woche ins
Hospiz, wenn es nötig ist, auch öfter.
Rosemeier ruht in sich selbst. Eine gute
Voraussetzung für den Dienst, den er leistet. Nie weiß
er, in welcher Verfassung er den Sterbenden antrifft:
Wünscht er eine Begleitung oder nicht? Ist er ruhig und
imReinenmit sich? Geht es ihmvergleichsweise gut oder
schlechter als beim letztenMal? Hat er seine Situation an-
genommen oder kämpft er dagegen an? Leidet er unter
dem Schmerz seiner Familie, zieht er sich in sich selbst
zurück, hat er noch etwas zu klären,…? Für Rosemeier gilt
jedes Mal neu: hineinfühlen, beobachten, hinhören.
Das gilt nicht nur für den Sterbenden,
sondern auch für dessen Angehörige – sofern er welche
hat. Es schmerzt Rosemeier, wenn er im Hospiz einem
Menschen begegnet, der ganz alleine ist. „Mancher hat
imLeben versäumt,Freunde zufindenund sicheinNetz
aufzubauen“, sagt er. Oder er hat keine Angehörigen und
Freunde mehr. Das ist bitter, findet Rosemeier:„Niemand
sollte alleine sterben müssen.“
ERST EINMAL VERTRAUEN AUFBAUEN
Ganz behutsam nähert sich der Sterbebegleiter einem
neuen Hospizgast, fragt, ob er etwas für ihn tun kann,
eine Handreichung, etwas besorgen. „Man muss erst
einmal Vertrauen aufbauen“, erklärt Rosemeier. Nichts
geschieht, was der Gast nicht möchte. Nach und nach
findet Rosemeier dann Zugang zum Sterbenden. In
Gesprächen geht es um die Erfahrung im Hospiz, um
das eigene Leben, das Sterben, die Angst vor demTod.
Doch dasWichtigste ist, einfach da zu sein. Eine Hand
halten, die Schulter berühren. Es sind zarte, leichte
Berührungen, die den anderen spüren lassen: „Du
bist nicht allein. Ich bin bei dir. Ich begleite dich, so
weit wie es geht.“
Rosemeier und seine Kollegen helfen je-
doch nicht nur dem Sterbenden, sondern auch den An-
gehörigen, denen sie begegnen. Oft können diese noch
nicht umgehen mit der Situation, nicht akzeptieren, das
ihr geliebter Mensch bald nicht mehr bei ihnen sein
wird, auch wenn es rational mit dem Einzug ins Hospiz
eindeutig ist. Rosemeier versucht, auch ihnen die Situ-
ation zu erleichtern. Sie darauf vorzubereiten, Abschied
zu nehmen. Im Mittelpunkt steht dabei auch hier das
Wohl des Sterbenden. In der letzten Phase sollte ihn
nichts mehr belasten, nichts mehr geklärt werden, was
nicht unbedingt noch geklärt werden muss. Wichtig ist
für Rosemeier auch, dass sich Angehörige klar machen:
„Es ist jedes Mal ein Abschied,wennman einen Sterben-
den verlässt. Beim nächsten Mal ist er schon nicht mehr
derselbe.“ Und es sei wichtig, sich bewusst zu halten,
dass man den anderen vielleicht nicht wiedersieht. Und
wenn, dann in jedes Mal veränderterWeise.
„IST DER NOCH NORMAL?“
Dass sich viele Menschen mit dem Tod so schwer tun,
hat nicht nur zu tun mit der natürlichen Angst vorm
Sterben, Tod und vor der Ungewissheit, was danach
kommt. „In unserer Gesellschaft ist der Tod tabu“, kri-
tisiert Rosemeier. Wie weit dieses Tabu geht, erlebt er
auch selbst. In der Anfangszeit seiner ehrenamtlichen
Arbeit hat Rosemeier Kollegen und Freunden offen
davon erzählt. Er wollte seine Erfahrungen teilen, seine
Erkenntnisse weitergeben, auch, um Ängste abzubauen.
Selten hat er Respekt und Anerkennung oder Offenheit
geerntet. Stattdessen musste er um seine Stelle fürch-
ten. „Wenn der sowas macht, ist der doch nicht mehr
wirklich leistungsfähig“, fürchteten Vorgesetzte und
Kollegen. Und einer, der sich intensiv mit dem Tod be-
fasst – ist der überhaupt „normal“?
Rosemeier wünscht sich einenWandel in
der Gesellschaft, denn schließlich ist der Tod die einzige
Gewissheit im Leben. Und wer sich im Leben schon
damit auseinandersetzt, der kann leichter Abschied
nehmen. Nie wird Freimuth Rosemeier den Mann
vergessen, den er einst begleitete und der keine An-
gehörigen, keine Freunde zu haben schien. Er quälte
sich und irgendwann kam im Gespräch heraus, dass er
Kinder hatte, zu denen seit Jahren kein Kontakt mehr
bestand. „Er bat mich, sie zu finden.“ Es gab keine
Adresse, keine Hinweise. Doch Rosemeier schaffte es
schließlich. Als er das demMann voller Freude erzählen
wollte, war es zu spät – er war gestorben. Freimuth
Rosemeier steigen bei der Erinnerung die Tränen in die
Augen, er ringt umFassung.„Ich habe ihm seinen letzten
Wunsch nicht erfüllen können“, sagt er gepresst. „Ich
habe es nicht geschafft.“
Wenn er drei Wünsche frei hätte, was
Sterben und Tod und den Umgang unserer Gesellschaft
damit angeht, dann wären es neben der Enttabuisie-
rung diese: „Keiner soll auf der Intensivstation sterben
müssen“, nennt er den ersten.„EinMensch sollte in Ruhe
einschlafendürfen.“Umdaszugewährleisten,brauchees
auchmehr palliativ ausgebildetes Personal.„Das ist eine
Frage desGeldes –hiermuss die Politik ran.“Und schließ-
lich wünscht er sich, dass sich mehr Menschen ehren-
amtlichalsHospizhelferundSterbebegleiter engagieren.
„Denn der Tag hat 24 Stunden – und der Sterbende stirbt
24 Stunden.“
*Name geändert
03 – 2015
9
Erzbistum
Köln –
Ehrenamt
Die Medienzentrale des Erzbistums Köln hält eine Reihe von Spiel-
und Dokumentarfilmen rund um das Thema Tod und Sterben zur
Ausleihe bereit. Sie können zur nichtgewerblichen öffentlichen
Vorführung, etwa in Gemeinden, Verbänden, Schulen und Gruppen,
entliehen werden.
In den vergangenen Jahren „fällt die hohe Zahl von Spiel-, Doku-
mentar- und Kurzfilmen auf, die nicht nur nebenbei vom Sterben
und Tod erzählen, sondern im Fokus ihrer Handlung“, sagt Mat-
thias Ganter von der Medienzentrale des Erzbistums. Er empfiehlt
aktuell drei Filme: den semi-dokumentarischen Spielfilm „Halt auf
freier Strecke“, den Spielfilm „Liebe“ und den Kurzfilm „Erlösung
(Alumbramiento)“. Der erste Film macht die Zuschauer mit den
konkreten Aspekten des Sterbens vertraut, den körperlichen und
geistigen Ausfällen, seelischen Spannungen, Entwicklungen und
Reifeprozessen“. In Michael Hanekes Oscar-gekröntem Film„Liebe“
geht es um die durch einen Schlaganfall pflegebedürftig gewor-
dene Anne (Emmanuelle Riva), die sich von ihrem Mann Georges
(Jean-Louis Trintignant) den Tod wünscht. Der mit einem Europäi-
schen Filmpreis geehrte Kurzfilm „Erlösung“ von Eduardo Chapero-
Jackson behandelt das Thema passive Stebehilfe anhand der
Geschichte einer Familie, die sich am Sterbebett der Mutter mit
dem Thema Tod auseinandersetzen muss. Dabei treffen Verdrän-
gung und ungebrochenes Klammern an die vermeintlichen
Möglichkeiten der Medizin auf Mitgefühl und letztlich einfühl-
same Sterbebegleitung. Um Sterben und Tod im Film und wie man
mit diesen Medien arbeiten kann, geht es auch in einer neuen
Broschüre der Medienzentrale des Erzbistums Köln. Die Arbeits-
hilfe enthält Filmbeispiele, didaktische Tipps und Lehrplanbezüge.
Auf 36 Seiten stellt die Broschüre verschiedene Filme für verschie-
dene Zielgruppen vor, die unterschiedliche Facetten des Themas
Sterben und Tod behandeln. Dazu zählen etwa „Halt auf freier
Strecke“, „Helium“ und „Seelenvögel“ sowie „Das Beste kommt
zum Schluss“. Dazu gibt es Hinweise, wie man sich bei der Vor-
führung in einer Klasse oder Gruppe am besten verhält, und
Anregungen, wie man das Thema anschließend weiter bearbeiten
kann, etwa durch eine Schreibübung, bei der man die letzten zwei
Monate seines Lebens plant.
Informationen zu diesen und weiteren Filmen unter
Die Broschüre kann heruntergeladen werden unter
LIEBE UND
ERLÖSUNG
Scannen Sie den Beitrag
mit der Layar-App und sehen
Sie den Trailer zu
”Halt auf freier Strecke“.
Symbolbild
Liebevolle Begleitung:
Ehrenamtliche Hospizhelfer
stehen Sterbenden bei.