03 – 2015
3
Erzbistum
Köln –
Porträt
Die Krankheit hat ihn gebeugt.
Sie wird ihm auch das Leben
nehmen. Aber gebrochen hat der Krebs Hanno M. Adam nicht.
Auch jetzt nicht, wo sie beide ins letzte Stadium eingetreten
sind. Elf Jahre ist es her, dass Adam die Diagnose erhielt: Pros-
tata-Karzinom. Damals war der Journalist 62 Jahre alt. Seit eini-
genMonaten geht es ihmschlechter, der Krebs hat Metastasen
in seinen Körper gestreut. Am liebsten würde Hanno M. Adam
zu Hause sterben, bei seiner Familie.„Aber manchmal geht das
eben nicht“, sagt er auf seine ruhige, sachliche Art. Und so ist er
vor kurzem in das Hospiz St. Hedwig in Köln-Rondorf gezogen.
Träger ist der Orden der Alexianer, der sich in dem roten Back-
steinbau in Kooperation mit den Cellitinnen ummaximal zehn
Bewohner kümmert, die hier ihremTod entgegenleben.
Ihre Einzelzimmer liegen entlang eines licht-
durchfluteten Flurs, der sich um ein kleines Pflanzenparadies
im Innenhof zieht. Von dort kommt man mit wenigen Schrit-
ten in das gemeinsame Wohnzimmer, die Wohnküche und
die von warmem Orange geprägte Kapelle. Viel Glas prägt
das Innere des zweigeschossigen Hospizbaus, und jedes Zim-
mer hat eine Terrasse oder einen Balkon. Hinter dem Haus
gibt es einen großen Garten, mit Terrasse, Ruheecken und
einem Bienenstock, in dem das Bienenvolk den hauseigenen
Honig produziert. An der Hauswand steht ein rotes Bobbycar,
Kinderlachen plätschert aus der benachbarten Kindertages-
stätte über die Mauer. Und „Snow“, die sandfarbene Hündin
eines Hospizmitarbeiters, will mit den ersten herunterge-
fallenen Äpfelchen spielen.
„MAN STÖSST AN SEINE GRENZEN“
Dass HannoM. Adam seine letzten Lebenstage nicht zu Hause
verbringen kann, hat mehrere Gründe: die Berufstätigkeit
seiner Frau, Studium und Beruf der Kinder, die Ansprüche
an Pflege und Versorgung, die mit dem Fortschreiten der
Krankheit intensiver werden, „die ganzen alltäglichen Pro-
bleme“, erklärt Adam. „Man stößt an allen Ecken und Enden
schnell an seine Grenzen, sodass sich die Frage nach einem
Hospiz recht bald stellte. “
Im Hospiz wird der Gast, wie die Bewohner in
St. Hedwig genannt werden, rund um die Uhr durch speziell
ausgebildetes Personal betreut, erläutert Adam:„Schwestern
und Pfleger mit besonderen Kenntnissen in der palliativen
Versorgung.“ Das reicht von allgemeinenHilfestellungenund
der Körperpflege bis zur medizinischen Betreuung nach ärzt-
licher Anweisung. „Ich werde zum Beispiel regelmäßig mit
Morphinen gegen die tumorbedingten Schmerzen versorgt,
was eine besondere Sorgfalt und Verantwortung voraus-
setzt.“ Die Schmerzmittel werden durch eine Kanüle in der
Bauchdecke gespritzt, die regelmäßig ausgetauscht werden
muss. Das Personal trage eine hohe Verantwortung in der
Begleitung des Gastes auf seinem letzten Lebensweg, betont
Adam. „Es bedarf einer großen Feinfühligkeit im Umgang
mit dem Alten und Kranken und seinen Angehörigen.“ Noch
kann Adam sich mit Unterstützung eines Rollators im Haus
und im Garten bewegen, irgendwann jedoch wird er sein
Bett nicht mehr verlassen können, dann wird die Betreuung
intensiver und aufwendiger.
Wer will,kann für sein Zimmer imHospiz einige
eigene Möbel mitbringen. Hanno M. Adam hat nicht viel
mitgebracht. Das Wichtigste sind die Fotos seiner Familie.
Sie stehen auf einem Bord gegenüber seines Bettes. Drei
Kinder hat Adam, zwei Söhne mit seiner jetzigen Frau und
eineTochter,die aus einer ersten Ehe stammt.„Es ist die Frage,
ob man nach dem Tod etwas vermissen kann“, sagt er. Aber
wenn es so sein sollte, dann wird er seine Familie ammeisten
vermissen, vor allem die Kinder. „Man hat ja den Wunsch, zu
sehen, wie sie sich entwickeln und was sie eines Tages ein-
mal machen werden.“
„ICH HABE SOWEITERGELEBTWIE VORHER“
Elf Jahre lang hat Adam jetzt schon mit der Krankheit gelebt.
Der schwer zu prognostizierende Verlauf hat ihm diese Zeit
gelassen und ihm gleichzeitig Stück für Stück sein altes Leben
genommen. „Als ich die Diagnose bekam, habe ich natürlich
einen Schrecken bekommen“, erzählt der Rundfunk- und TV-
Journalist. „Und ich habe doch einige Zeit gebraucht, um
damit fertig zu werden.“ Seine Familie hat ihn dabei sehr
unterstützt. Weil er sie nicht belasten wollte und auch, weil
es seine Art ist,„habe ich mein Leben so weitergelebt wie vor-
her, ganz bewusst“. Adam wollte nicht als trauriger Mensch
durchs Leben gehen.
Hanno M. Adam hat weitergearbeitet, bis er
2007 in Pension gegangen ist. „Aber Journalist ist ja kein
Beruf, der aufhört“, sagt er. Und so schreibt er auch heute noch
Artikel. Zuletzt etwa über den Umgang unserer Gesellschaft
mit alten und kranken Menschen. Dass die Gesellschaft
überhaupt nicht auf alte und kranke Menschen eingestellt
ist, dass die Menschen keine Geduld mit ihnen haben, un-
gefragt vermeintliche „Hilfe“ aufdrängen, um der Situation
schnell zu entkommen und damit den alten oder kranken
Menschen entmündigen und entwürdigen – das regt Adam
auf. „Man will für voll genommen werden“, sagt der Jour-
nalist.
Als sein Französischlehrer französische Zeit-
schriften und Zeitungen mit in die Schule brachte, wuchs in
dem Jungen Hanno der Wunsch, Journalist zu werden. „Ich
kommentiere gerne, ich nehme gerne Stellung“, schildert er
mit aufblitzenden Augen das, was ihm ammeisten bedeutet
an seinem Beruf.
STILLEWIRD IMMERWICHTIGER
Adam hat vor allem als Kulturjournalist gearbeitet, aber auch
im Politikressort. Es wundert einen daher nicht, dass das wohl
Zweitwichtigste in seinemGepäck sein iPad ist.Mit demhand-
lichen Tabletcomputer kann er das Weltgeschehen verfolgen
und wenn ihm danach ist Bücher lesen oder Musik hören.
Hunderte Bücher und Musiktitel sind darauf gespeichert.
Doch immer seltener hört er Musik. Dass er einmal die Stille
vorziehen würde, hätte er früher nicht erwartet. Einer wie er,
der Musik immer sehr geliebt und bewusst gehört hat, „nie
als Hintergrundmusik“. Zunehmend fällt ihm auch das Lesen
schwer, die Buchstaben verschwimmen allzu schnell vor sei-
nen Augen. Bücher lesen, was er so liebte, kann Adam nicht
mehr. Das Tablet hilft ihm aber mit seiner Vergrößerungsfunk-
tion, wenigstens weiterhin lesen zu können.
So lange es ging, haben Hanno M. Adam und
seine Frau noch Reisen unternommen. Nach Marokko etwa,
in die Türkei und zur Silberhochzeit nach Rom. „Aber wir sind
nicht mehr gereist als vorher“, sagt Adam. Und auch sonst
gab es nichts auf einer „Bucket List“, wie es „neudeutsch“
heißt. Keine „Was ich vor meinem Tod noch tun will“-Liste.
Adam, der in Posen (heute polnisch Poznan)
geboren wurde und sich als Norddeutscher fühlt, seit er in
Hannover aufwuchs, ist kein Mensch, der alles umwirft und
sich nur noch auf sich konzentriert. Auch und vielleicht erst
recht nicht nach der Diagnose. Im Gegenteil: er hat seinen
Alltag gepflegt und gelebt.„Alltag“ ist das,was er – nach seiner
Familie – am meisten vermissen wird, wenn nach dem Tod
noch etwas wieVermissen kommt.„Das Abwechslungsreiche
imAlltag ist das, was ich besonders mag“, sagt er. Und die klei-
nen täglichen Rituale, die unser Leben so lebenswert machen,
die uns ein stabiles Fundament geben, Halt und Kraft. So wie
das tägliche „zweite Frühstück“, zu dem sich Hanno M. Adam
seit der Pensionierung jeden Tag mit einem Freund getroffen
hat. „Das vermisse ich schon“, sagt er, auch wenn der Freund
ihn auch jetzt täglich besucht.
Hat er je gegen den tödlichen Krebs rebelliert?
Gewütet? Getobt? Man kann es sich bei Hanno M. Adam
nicht vorstellen und da schüttelt er auch schon den Kopf.
„Ich habe meine Krankheit mit Geduld ertragen“, sagt er.
„Mit Wut und Verzweiflung dagegen anzukämpfen, bringt
nichts.“ Natürlich gebe es auch Phasen, in denen er depres-
siv sei. „Aber man kann sich in Leiden auch hineinreden“, ist
seine Überzeugung. Er hat den Krebs begleitet in diesen elf
Jahren, wie der Krebs ihn.
TEXTE:
HILDEGARD MATHIES
FOTOS:
MARCO BRÄUNIG
Mit ihrem warmen Orange ist die Kapelle
im Hospiz St. Hedwig ein Ort des Friedens
und der Besinnung. Hier finden Hospiz-
gäste, Besucher und Mitarbeiter zur Ruhe.
„ GLEICHER
UNTER GLEICHEN..."