Mensch - Magazin des Erzbistums Köln - page 8

03 – 2015
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Erzbistum
Köln –
Erfahrung
TEXT:
HILDEGARD MATHIES
FOTOS:
MARCO BRÄUNIG
Info:
Die Pflegezeit ermöglicht es seitens des
Gesetzgebers, dass jeder Arbeitnehmer sich
bis zu sechs Monate vollständig von der
Arbeit freistellen lassen kann, um einen
Angehörigen zu pflegen.
Infos auf der Homepage des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
GESCHENKTE ZEIT
Inge Sauren und Simon Scheit haben
Inge Saurens Mutter intensiv bis zum Tod
begleitet, erst zu Hause, dann im Alexianer-
Hospiz St. Hedwig in Köln-Rondorf.
So soll es am Ende sein.
So, wie Inge Sauren es schildert. Man
sieht sie vor sich, die beiden. Aneinandergekuschelt in einem
Bett, die Tochter streichelt zärtlich die todkranke Mutter. Sie
erzählen viel, sie sind einfach miteinander, sie lachen, sie wei-
nen, sie singen, genießen die Zeit, die ihnen noch zusammen
bleibt. Die früheren Rollen haben sich vertauscht. Es ist nun
die Tochter, 39, die die Mutter, 75, bald 76, behütet und beglei-
tet, die sie wäscht, ihr beimAnziehen und Essen hilft, ihr etwas
vorliest, sie versorgt und umsorgt und sie auch nachts nicht
alleine lässt. Auch nicht, als Margret Sauren sagt: „Inge, es ist
Zeit“ – Zeit, um von zu Hause ins Hospiz überzusiedeln. Abend
für Abend wird Inge Sauren ihr Feldbett aufklappen und bei
ihrer Mutter schlafen.
Margret Sauren hatte es wohl geahnt. Auf einer
gemeinsamen Berlinreise merkt Inge Sauren, dass ihre Mutter
nicht mehr richtig essen kann. So geht es schon etwas länger,
sagt diese, doch Margret Sauren scheut den Gang zum Arzt.
Ihre Schwester war 2014 an Krebs gestorben, ihr Ehemann
2011. „Dann kommt da bestimmt ’was raus“, fürchtet die
sonst so resolute Frau. Doch schließlich geht es Margret Sau-
ren so schlecht, dass sie ins Krankenhaus muss.
Die Befürchtungen bewahrheiten sich: Ein
Tumor blockiert den Übergang zwischen Speiseröhre und
Magen. Der Arzt ist eindeutig: Die Operation ist nicht nur
schwer, sondern kann tödlich sein – viele Patienten überle-
ben sie nicht. Und selbst wenn: Es folgt ein Martyrium, mit
schwerer Chemotherapie und ohne Garantie. Aber natürlich
erwartet der Arzt, dass Margret Sauren um ihr Leben kämpfen
wird. Das erwarten auch Freunde und Verwandte.
DAS LEBEN BEWUSST ZU ENDE LEBEN
Margret Sauren jedoch lehnt ab. „Inge, das will ich nicht.“ In
absoluter Klarheit entscheidet sie: Keine OP, keine Chemo,
kein Dahinsiechen. Sie will ihr Leben bewusst zu Ende leben.
Für Inge Sauren ist sofort klar: „Ich begleite meine Mama.“
Nach eingehenden Erkundigungen erfährt sie von der Mög-
lichkeit, dass Angehörige in Abstimmung mit dem Arbeitge-
ber eine Pflegezeit nehmen können. Noch heute ist sie ihrem
Arbeitgeber, der AGEH, der Arbeitsgemeinschaft für Entwick-
lungshilfe, dankbar für die „totale Rückendeckung“ – und
auch ihrem Partner, Simon Scheit, der sie vorbehaltlos unter-
stützt. Tag für Tag fährt er nach Feierabend von seiner Arbeit
als Logistiker bei den Ford-Werken in Niehl zu den beiden Frau-
en, teilt die Erfahrung, die gemeinsame Zeit und überlässt sie
dann wieder ihrer Zweisamkeit.
Es ist auch dieser Wechsel aus intensiver Zwei-
und Dreisamkeit, der den Abschied zu einem Geschenk
macht. Margret Sauren hat noch zwei Söhne – einer lebt in
Honduras, einer auch in Deutschland – jetzt bekommt sie ei-
nen dritten dazu.
Inge Sauren und Simon Scheit kennen sich be-
reits seit einigen Jahren und sind seit drei Jahren ein Paar, als
IngesMutter erkrankt.Während der Zeit des Abschieds kommt
bei ihr der Wunsch auf, dass sie die Hochzeit der beiden gerne
noch erleben würde. Da ist sie schon im Hospiz.
HOCHZEIT IM HOSPIZ
St. Hedwig hatte sich Margret Sauren ganz bewusst ausge-
sucht. Noch von der Klinik aus und obwohl sie von dort erst
nochnachHause zurückgekehrt ist,hatte siedasHospiz besucht.
„Da hat Mama in dem wunderschönen Garten gesessen und
Hospizleiter Andreas Saraßa gefragt: ,Darf ich denn hier auch
rauchen?‘ “Auf den Genuss wollte sie nicht verzichten. Sie
durfte, denn jeder erfüllbareWunsch wird erfüllt.
Und nun also die Hochzeit. Das junge Paar geht
aufs Standesamt, erklärt die Situation und die Dringlichkeit.
Knapp eine Woche später kommt eine Standesbeamtin
ins Hospiz. Der Seminarraum des Hospizes ist liebevoll ge-
schmückt, die Mama und das Hochzeitspaar hübsch zurecht-
gemacht. Statt die übliche schnelle zivile Trauung zu vollzie-
hen,„packt die Standesbeamtin wohl ihr gesamtes Repertoire
aus“, wie Simon Scheit erzählt. Jedenfalls dauert die Zeremo-
nie fast zweieinhalb Stunden, danach wird schön zusammen
gefeiert. Hospizgäste und Pflegekräfte sind mit dabei. Es ist
das vorletzte große Fest für Margret Sauren.
ES GIBT GUTE UND SCHLECHTE TAGE
Oft kannMargret Sauren kaum etwas zu sich nehmen.„Ihre
Mutter lebt von Luft und Liebe“, hätten die Pflegekräfte oft
gesagt, berichtet Inge Sauren. Dann bekommt sie plötzlich
wieder Appetit. Sie fühlt sich wohl in dem Haus und mit
ihrer Tochter, so wohl man sich fühlen kann, wenn der eige-
ne Körper stirbt. Inge Sauren: „Sie hat oft gesagt: ,Wenn es
mir nicht so schlecht gehen würde, würde ich denken, ich
wäre im Hotel.‘ “
Doch jeder Tag ist auch ein Tag des Abschieds.
„Du musst nicht traurig sein“, sagt Margret Sauren zu ihrer
Tochter. Und auch: „Wir haben uns alles gesagt.“ Margret
Sauren wollte bei Bewusstsein sein, sie wollte klar sein, nicht
wegdämmern mit Schmerzmitteln – das war ihre Sorge. „Ich
möchte noch ich sein“, sagt sie.
Natürlich hat Magret Sauren auch Angst, auch
wenn sie ihre Krankheit und ihr Sterben annimmt. Aber Fra-
gen treiben sie um: Wie sieht der Tod aus? Wie wird er sein,
dieser letzte Moment? Früher, vor der Krankheit, hatte sie
sich immer gewünscht, „einfach einzuschlafen“. Jetzt sagt
sie zu ihrer Tochter:„Ich möchte in deinen Armen sterben.“
„DIESE ZEIT BEKOMMT MAN NICHT ZURÜCK“
Für Inge Sauren und Simon Scheit war von Anfang an klar,
dass Margret Sauren selbst entscheiden sollte, ob sie sich
einer Operation und Behandlung unterzieht – oder nicht.
Undenkbar, sie zu bedrängen, sie halten oder zum Kämpfen
bringen zu wollen. „Für uns war klar, dass wir sie begleiten“,
sagt Inge Sauren. „Diese Zeit bekommt man nicht zurück.
Das Schlimmste wäre gewesen, nicht da zu sein und es
dann zu bereuen.“
Der 76. Geburtstag von Margret Sauren naht.
Sie will an diesem Tag noch einmal ihre engsten Freundin-
nen um sich versammeln, noch einmal feiern. Später wird es
sein, als hätte sie für dieses schöne große Fest im Saal noch
einmal alle Kräfte zusammengenommen. Es wird ein unver-
gesslicher Nachmittag. Margret Sauren hält zu Beginn eine
kleine Rede und verschenkt ihren Schmuck. Jede Freundin
erhält ein zu ihr passendes Geschenk – ein Erinnerungsstück.
„INGE, ICH MUSS JETZT LOS!“
Nach demGeburtstagsfest wird die Kraft vonMargret Sauren
immer weniger, vielleicht auch die Willenskraft. Knapp eine
Woche später ist sie am Ende ihres Weges. Einmal noch wird
sie unruhig:„Inge, ich muss los! Ich muss jetzt los!“ Inge Sau-
ren spürt, dass der Abschied da ist, ruft ihren Mann an, der so
schnell es geht, kommt.
Als Margret Sauren ihre letzten Atemzüge tut,
atmet Inge Sauren instinktiv mit ihr, im gleichen Rhythmus. Es
ist etwas, das auch erfahrene Sterbebegleiter tun, wenn sie im
Moment des Todes bei jemandem sind. Wieder hat Inge sich
neben ihre Mutter gelegt, deren Kopf an ihre Schulter gebet-
tet, ihr Mann sitzt am Bett. Noch einmal blickt ihre Mutter auf,
ihr Blick geht in einen Winkel des Zimmers, als sähe sie dort
jemanden, der sie erwartet. Ganz langsam und sanft versickert
ihr Atem. Dann ist der letzte Atemzug getan.
Auch wenn sie sich natürlich gewünscht hätten,
dass Margret Sauren hätte länger leben können, nicht erkrankt
wäre: So, wie der Abschied war, war er am Ende stimmig für
Inge Sauren und Simon Scheit. Sie sind glücklich über die
gemeinsame Zeit, die sie nicht nur der Mama, sondern auch
einander noch nähergebracht hat. Bis heute sind sie zwischen
liebevollem Lächeln und Tränen, wenn sie davon erzählen.
Für Inge Sauren hat die intensive Begleitung
ihrer Mutter noch mehr verändert als den eigenen Horizont.
Sie lässt sich gerade zur ehrenamtlichen Hospizhelferin aus-
bilden. Wo sie danach am liebsten arbeiten möchte, ist klar:
in St. Hedwig.
Erinnerungen: Inge Sauren und Simon Scheit haben ein Fotoalbum von ihrer Hochzeit im Hospiz angelegt.
Die Sterbebegleitung von Inge Saurens Mutter hat sie und
ihren Mann Simon Scheit noch enger zusammengeschweißt.
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