AdventsZeit 2017

8 www.adventsundsommerzeit.de M anche setzen auf Mittelalter-Flair, andere auf See- fahrer-Romantik, wieder andere auf alpenländische Atmosphäre. Ob traditionell auf dem Rathausplatz oder alternativ in Wohnzimmern, ob über Wochen oder nur für einen Tag – Weihnachtsmärkte sind Besuchermagnete. 1500 sollen es bundesweit sein. Das schätzt der Deut- sche Schaustellerbund nach einer Studie der IFT Freizeit- und Tourismus- beratung. 85 Millionen Besucher sorgen demnach für 2,5 Milliarden Euro Umsatz. Laut Bundesverband der Schausteller und Marktkaufleute sind es sogar 2500 Weihnachtsmärkte, 160 Millionen Besucher und 5 Milliarden Euro Umsatz. So oder so, die Zahlen sprechen für sich. Doch was bringt diese Millionen Menschen dazu, auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen? Warum nehmen manche sogar lange Anreisen auf sich, um irgendwo die Bratwurst mit klammen Fingern draußen im Kalten zu essen, statt in der warmen Imbissbude nebenan? Studenten der BSP Business School Berlin Mehr als Glühwein und Spekulatius Von Kathrin Becker haben in Tiefeninterviews genau das herauszufinden versucht. Das Ergebnis: Es ist vor allem der Wunsch, die kindliche Vorfreude auf Weihnachten wiederzubeleben.„Fast jeder erinnert sich daran, wie sehr er sich als Kind auf Weihnachten gefreut hat“, sagt Professor Dr. Christoph Melchers, der in Berlin Wirtschaftspsychologie lehrt. „Weihnachtsmärkte bergen das Versprechen, dieses Gefühl wieder- zubeleben – und zwar, indem sie alle Sinne ansprechen mit Lichter- glanz und Ess-Genüssen, mit Weihnachtsliedern und allem, was dazugehört.“ Es gehe um die als Kind so empfundene adventliche Erwartungshaltung „Es kommt alles Gute, was man sich nur vor- stellen kann“. Krippe und Rummel Zu den nostalgischen Gründen für den Weihnachtsmarktbesuch kommt laut Melchers eine „eher erwachsene, praktisch orientierte Motivation dazu, auf Weihnachten zu reagieren“ – etwa neuen Christbaumschmuck finden zu wollen, Geschenke oder ausgefal- lene Dekorationsideen. Das könne regelrecht in eine Jagd ausarten nach etwas Außergewöhnlichem und Originellem. „Beides sind seelische Grundbedürfnisse des Menschen: Dinge behalten oder wiederbekommen zu wollen ebenso, wie sich neuen Dingen zu wid- men“, erklärt der Psychologe. Die Krippe gehört für ihn zum Gesamtpaket dazu. „Schließlich hatten die meisten Familien früher eine Krippe zu Hause“, sagt Melchers. Und für nostalgische Regungen spiele es keine Rolle, dass das Jesuskind zwischen Glüh- weinbude und Würstchenstand meist von Anfang an schon in der Krippe liege, obwohl es doch eigentlich Heiligabend erst geboren werde. Eine Tatsache, die auch für den Theologen Dr.Werner Kleine aus Wuppertal kein großer Aufreger ist. Anstatt sich „daran hoch- zuziehen“, empfiehlt er als Kirche „sehr charmant daran anzuknüp- fen“. So gibt es auf Anregung der Citykirche in Wuppertal zum Beispiel seit 2009 eine Graffiti-Krippe, die die Adventszeit über in der Nähe des Weihnachtsmarktes gesprayt wird und bei der das Jesuskind tatsächlich erst am 24. Dezember an seinen Platz kommt. Kritische Töne „Nicht über Dinge meckern, wie sie sich entwickelt haben, sondern selbst etwas anbieten – denen, die glauben, und denen, die noch nicht glauben“, lautet die Devise des Pastoralreferenten. Statt über die Omnipräsenz des Weihnachtsmannes zu jammern, hat Kleine etwa einen Nikolauszug angeregt, den die Citykirche in Kooperati- on mit dem Stadtmarketing und den Veranstaltern des mittelalter- lichen Weihnachtsmarktes organisiert. Seiner Erfahrung nach stoße man als Kirche oft „auf offene Ohren und weite Arme“. „Wir müs- sen uns da nur hineinbegeben“, meint Kleine. Aus dieser Überzeu- gung heraus rät er auch allen Geistlichen, die sich über „Jubel, Trubel, Heiterkeit“ auf den Weihnachtsmärkten aufregen, sich lieber mit an den Glühweinstand zu stellen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Wer sagt denn, dass die Adventszeit eine stille, besinnliche Zeit sein muss? Wo steht das denn bitte geschrieben?“, will Kleine wissen. Ja, liturgisch gesehen sei der Advent eine Vorbereitungszeit und die Weih- nachtszeit beginne erst mit der Heiligen Nacht. „Aber für die meisten Menschen ist Heiligabend nun mal der Höhepunkt der Weihnachtszeit, nicht der Beginn. Da kann ich mich jetzt als Kirche dran reiben, oder aber ich kann mich auch darüber freuen, dass Weihnachten überhaupt noch eine Bedeutung in der Gesellschaft hat!“ Entscheidend für den Theologen ist, dass die weihnachtliche Botschaft bei den Menschen ankommt: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zu Teil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.“ (Lukas 2,10-11) Und es ist ein Messias, der von sich sagt: Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. „Deshalb freue ich mich, wenn die Menschen das Leben in Fülle haben“, sagt Kleine, „– auch auf demWeih- nachtsmarkt!“ ❖ Sie sind berühmt – und locken Millionen. Die legendären Weihnachtsmärkte vor dem Kölner Dom, dem Bonner Münster oder in der Düsseldorfer Altstadt. Doch es gibt auch kritische Töne. www.tagen.erzbistum-koeln.de Wir sind die... ... die für viele eine Herberge in der Fremde sind! Foto: KW Kölner Weihnachtsgesellschaft

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